"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Samstag, 31. Mai 2014

FOTOSACHE NR. 33: Donauturm + WIG 64



Ansichtskarte aus einer Serie zur WIG 64, Archiv Susanne Breuss
Zu sehen: Der Donauturm, die Wetterstation und der Sessellift, mit dem man
über die Blumenbeete schweben konnte.  




Heute in meiner Fotoglosse im Extra der Wiener Zeitung: Ein Beitrag zum Donauturm, der anlässlich der WIG 64 (Wiener Internationale Gartenschau 1964) entstanden und mit seinen 252 Metern Höhe noch immer das höchste Bauwerk Österreichs ist.

Zur WIG 64 gibt es noch bis 31. August 2014 im Wien Museum Karlsplatz eine Ausstellung zu sehen: "WIG 64 - Die grüne Nachkriegsmoderne". Der dazu erschienene Katalog enthält u. a. einen Beitrag von Andreas Nierhaus zum Donauturm.
Nähere Infos hier.


Freitag, 30. Mai 2014

DRUCKSACHE NR. 34: Wirkstoffe



Stoff, Heiko: Wirkstoffe. Eine Wissenschaftsgeschichte der Hormone,
Vitamine und Enzyme, 1920-1970 (= Studien zur Geschichte der Deutschen
Forschungsgemeinschaft 9). Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012. ISBN
978-3-515-10099-1; IX, 387 S., 9 Abb.; EUR 52,00.


Eine Besprechung dazu gibt es auf hsozkult.


Donnerstag, 29. Mai 2014

WILD THING NR. 2: Automobil-Outfit






Modekritik in einer 1907 erschienenen Kunstzeitschrift:
 
Die Sucht nach originellen Neuheiten führt oft zu sonderbaren Übertreibungen. Und wenn die Launen der Mode irgendwo bizarr sind, so sind sie es bei den Kostümen der Automobilisten, die zuweilen in ihrer übertrieben eigenartig geformten Schutzkleidung mehr vorweltlichen Fabelwesen als Menschen gleichen. Es ist verständlich, wenn ein biederes Bäuerlein vor einem so vermummten Autofahrer davonlief mit den Worten: "Der Teufel kommt." System Hieronymus heißen die modernsten "Rüsselmasken", aber so schnell fährt nicht einmal ein Hieronymus, um ihrer zu bedürfen. Unser Bild zeigt eine komplette Automobildreß in demselben "ausgerissenen" Stile. Der Automobilist trägt außer der bewußten Maske auch das "parapluie du chauffeur" und hat, um den Eindruck noch zu erhöhen, noch "Antiderapant"-Handschuhe angetan, eine mit Nieten beschlagene Handbekleidung, die zwar nicht zum Automobilsport gehört, dagegen aber bei den Rodlern sehr beliebt ist, denen sie ein gleitsicheres Steuern ermöglicht.

 

Montag, 26. Mai 2014

TERMINSACHE NR. 66: Erster Weltkrieg - Alltagsleben im "Hinterland"



Im wissenschaftlichen Begleitprogramm zur Ausstellung "Jubel & Elend. Leben mit dem Großen Krieg 1914-1918" auf der niederösterreichischen Schallaburg findet vom 30. Juni bis 2. Juli 2014 ein Symposion des NÖ Instituts für Landeskunde und des Instituts für Geschichte des ländlichen Raums zum Thema "Fern der Front, mitten im Krieg. 1914-1918. Alltagsleben im Hinterland" statt. Nähere Infos hier.


Donnerstag, 22. Mai 2014

DRUCKSACHE NR. 33: Alltagsdinge im Zeichen des Ersten Weltkrieges





Zur morgen zu Ende gehenden Ausstellung "Wohin der Krieg führt. Wien im Ersten Weltkrieg 1914-1918" in der Wienbibliothek im Rathaus ist eine umfangreiche Begleitpublikation erschienen:

Alfred Pfoser/Andreas Weigl (Hg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg. Wien 2013.

Darin findet sich auch ein Beitrag von mir mit dem Titel "Alltagsdinge im Zeichen des Krieges. Neun Fundstücke aus der Frauen- und Familienzeitschrift 'Wiener Mode'" (S. 532-539).
Am Beispiel von einigen konkreten Alltagsdingen wie Papierkleidern, Haferschnitzeln, Prothesenstrümpfen, Desinfektionsmitteln und Kochkisten geht es um die Auswirkungen des Krieges auf das Alltagsleben von Frauen.   


Montag, 19. Mai 2014

ANSICHTSSACHE NR. 59: Wohin der Krieg führt...


Mehlkarte (1918) / Weltkriegskonvolut, Nr. 1109, WBR


...unter anderem zu Lebensmittelmangel und Rationierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel die hier abgebildete Mehl-Bezugskarte zeigt.

Nur noch bis Freitag, 23. Mai 2014 zu sehen: Die Ausstellung "Wohin der Krieg führt. Wien im Ersten Weltkrieg 1914-1918" in der Wienbibliothek im Rathaus. 
Nähere Infos hier.


Freitag, 16. Mai 2014

ANSICHTSSACHE NR. 58: Geschichte willkommen - Ein partizipatives Ausstellungsprojekt im Sandleitenhof im Rahmen von SOHO in Ottakring



www.geschichte-willkommen.at 01 (v.r.n.l. Katrin Sippel, Christiane Rainer, Kazuo Kandutsch. C Christiane Rainer. Bei Abdruck honorarfrei)
© Christiane Rainer
 


Im Rahmen des Festivals SOHO in Ottakring gibt es heuer unter dem Titel "Geschichte willkommen" eine partizipative Pop-Up-Ausstellung zur Geschichte des Sandleitenhofs, der größten kommunalen Wohnhausanlage des "Roten Wien" der Zwischenkriegszeit, erbaut in den Jahren 1924-1928. 
Eröffnung ist am 17. Mai 2014 um 18 Uhr, zu sehen ist die Ausstellung im Foyer des ehemaligen Kinos des Sandleitenhofs bis 31. Mai 2014.
Website der Ausstellung
Beitrag zum Ausstellungsprojekt auf Okto (Sendung vom 8.5.2014, ab 6:26)


Ich habe die Kurator/inn/en Kazuo Kandutsch, Christiane Rainer und Katrin Sippel (sie sind auf dem Foto oben zu sehen) zu ihrem Projekt und ihren Intentionen befragt:


Wie ist die Idee zu dieser Ausstellung entstanden, gab es einen bestimmten Anlass?

Anlass war der Call von SoHo in Ottakring, die Aufforderung zum Einreichen von Projektideen. Kazuo Kandutsch hatte davon erfahren und uns, Christiane Rainer und Katrin Sippel, ins Boot geholt, um gemeinsam eine kulturhistorische Ausstellung zu konzipieren. Als Gestalter konnte Dominik Hruza gewonnen werden, als Ort wurde nach einer Begehung das Kino ausgewählt.  



Wieso der Sandleitenhof?

Weil SoHo in Ottakring 2014 vom Yppenplatz nach Sandleiten übersiedelt ist. Das Thema von SoHo 2014 ist „Sandleiten auf Draht“.

 

Wodurch unterscheidet sich diese Ausstellung von „herkömmlichen“ Ausstellungsformaten und was ist ihr Ziel?

Der Unterschied zu „herkömmlichen“ Ausstellungen ist, dass die Besucher_innen durch Einbringen von Leihgaben sowie durch ihre Geschichten zu diesen Objekten und Erinnerungsgegenständen die Ausstellung mitgestalten können. Die kuratorische Auswahl behalten wir uns doch immer vor.
Ziele sind:
Wecken des Bewusstseins für die eigene Geschichte und Gegenwart
Belebung und Aufwertung des Orts
Kunst- u. Kulturangebot für Bewohner_innen
„Spuren hinterlassen“
Geschichte erlebbar machen
 


 

Wie funktioniert die Ausstellung genau? Ist am Beginn noch gar nichts zu sehen und entsteht sie tatsächlich erst mit den Objekten, Bildern und Geschichten, die die Bewohner/innen vorbei bringen? Gibt es eine von Euch entwickelte inhaltliche Struktur oder entsteht diese auch erst durch die Partizipation der Sandleitenhof-Bewohner/innen?

Wir haben eine Grunderzählung, d. h. eine inhaltliche Struktur, vorbereitet, die sich in die Kapitel
- Geschichte des Sandleitenhofs
- Alltag und Freizeit (inklusive Kongresspark und Kongressbad, die Teil des Baukonzepts waren)
- Austrofaschismus, Nationalsozialismus
- Zukunft
gliedert. Für einige dieser Kapitel haben wir, auch für den Fall, dass zum jeweiligen Bereich zu wenige mögliche Exponate von Besucher_innen kommen, mögliche Exponate – Archivalien, Fotos etc. vorbereitet.
Zusätzlich hat unser Gestalter Dominik Hruza Plakate zu Filmen gestaltet, die im Sandleitenkino zwischen 1928 und 1966 gezeigt wurden.
Aus dem Bezirksmuseum haben wir digitale Fotodateien zum Sandleitenhof bekommen, Fotos nachproduziert, die werden in alten Fotoalben zum Durchblättern aufliegen.
Die Raumtexte sind schon von Anfang an vorhanden, Objekttexte werden während der Ausstellung geschrieben.
Was (hoffentlich) von den Besucher_innen kommt:
- Objekte, die in die Erzählung integriert werden
- Im Zuge der Ausstellung geht es auch um den Alltag in Sandleiten und dessen Zukunft. Wir versuchen, von den BewohnerInnen Kommentare zum Zusammenleben und konkrete Vorschläge dazu zu sammeln. Sollte das gelingen - solche partizipativen Ansätze in Ausstellungen müssen intensiv begleitet und betreut werden, wozu wir in dem Umfang nicht die Kapazitäten haben – aber wir versuchen es trotzdem.
Was noch dazukommt:
- Instant-Schnappschussporträts aller Besucher_innen von uns
- Portraits ausgewählter Besucher_innen durch eine Fotokünstlerin



Was passiert mit diesen Dingen und Geschichten nach dem Ende der Ausstellung – ist geplant, etwas „Bleibendes“ damit zu machen?

Wir haben mit dem Bezirksmuseum Ottakring gesprochen, ob sie an einer Übernahme interessiert sind, das hängt von der Art der Exponate ab. Vorerst ist geplant, die Objekte an den letzten beiden Ausstellungstagen zu retournieren.



Ort der Ausstellung ist das ehemalige Kino im Sandleitenhof. Was passiert dort sonst – ist die Originaleinrichtung noch erhalten und ist es in irgendeiner Form zugänglich?

Das Kino wurde 1966 in eine Konsumfiliale umgebaut, dann kam Meinl, seit Mitte der 90er ist der Raum leer.
Unsere Ausstellung findet im ehemaligen Kinofoyer statt, mit einem Blow-up-Transparent zeigen wir, wie der Kinosaal ausgeschaut hat. Es wurde alles verbaut, wo die Sitzreihen waren, sind m. W. jetzt Caritas-Büros ... Von verbliebener Originaleinrichtung ist uns nichts bekannt.




Dienstag, 13. Mai 2014

TERMINSACHE NR. 65: Seifenschaum als geschlechterkritisches Material



Im Rahmen der interdisziplinären Vortragsreihe "Kunst - Forschung - Geschlecht" an der Universität für angewandte Kunst Wien (im Studienjahr 2013/14 mit dem Schwerpunktthema "Stoff wechseln? Ein geschlechterkritischer Blick auf Material und Medium") findet am Mittwoch, 14. Mai 2014, um 18:00 Uhr folgender Vortrag statt:
Marcel Finke: Aphrodite oder die Kunst der Schaumgeburt. Seifenschaum als geschlechterkritisches Material.
Nähere Infos hier.


Montag, 12. Mai 2014

ANSICHTSSACHE NR. 57: Alltagsdinge im MAK



Josef Hoffmann, Kredenz für die Küche von Paul Wittgensteins Landhaus „Bergerhöhe“,
Wien, 1899, © Fritz Simak/MAK


Eine feine Sache: 150 Jahre nach der zunächst provisorischen Eröffnung des Museums für angewandte Kunst (damals noch: k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie und in den Räumlichkeiten des Ballhauses neben der Wiener Hofburg) am 12. Mai 1864 gibt es dort nun endlich wieder mehr Alltag zu sehen: Als zentrales Jubiläumsprojekt wird nämlich mit dem MAK Design Labor eine Neuinterpretation der Studiensammlung präsentiert, gestaltet vom Designstudio Eoos. Zu den Themenfeldern zählen unter anderem Essen und Trinken, Kochen, Sitzen, Dekorieren, Transportieren, Kommunizieren sowie Schützen und Schmücken. Im Mittelpunkt stehen Funktion und Gebrauch von Objekten. Dabei rücken nicht nur historische Entwicklungen und Veränderungen in den Fokus, sondern ausdrücklich auch Zukunftsperspektiven, indem nach den Möglichkeiten eines "positiven Wandels" gefragt wird, bei dem Geschlechterverhältnisse oder die Demokratisierung von Wissen ebenso Berücksichtigung finden wie die Auswirkungen des Klimawandels oder die Ernährungssituation. 
Nähere Infos hier.

 

Sonntag, 11. Mai 2014

GENDERED OBJECT NR. 2: Zum Muttertag ein rationeller Küchenstuhl für die geplagte Hausfrau





Eine Werbeanzeige von Anfang Mai 1967 für den Bremshey Hausfrauenstuhl "Küchenschatz" - ganz offensichtlich als Geschenkstipp für den Muttertag gedacht. Es handelt sich um ein rationelles Modell nach dem Vorbild der ergonomisch gestalteten Bürodrehstühle und steht damit in der Tradition von Rationalisierungsbestrebungen in der Arbeitswelt. Verstärkt ab der Zwischenkriegszeit erfassten solche Maßnahmen auch die Hausarbeit, wobei  diese nicht nur die Arbeitsabläufe, sondern auch die Möbelgestaltung betrafen. Die "richtige" Organisation der Hausarbeit und eine rationelle Kücheneinrichtung sollten die Hausarbeit erleichtern und die Hausfrauen entlasten. Seither ist es üblich, zum Muttertag und zu Weihnachten arbeitserleichternde Geräte als passendes Geschenk für Frauen anzupreisen - auch eine Methode, der grundsätzlichen Infragestellung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung aus dem Weg zu gehen.
  

Mehr von mir zur Rationalisierung der Hausarbeit gibt es hier:

Breuss, Susanne: Modernität als Norm. Das Leitbild der „neuen Hausfrau“ in der Haushaltsratgeberliteratur der Zwischenkriegszeit, in: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, NF 41 (2005), S. 77-89.

Breuss, Susanne: „Jede Frau kann zaubern“. Technik, Tempo und Fortschritt in der Küche. In: Dies. (Hg.): Die Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945 (= Ausstellungskatalog Wien Museum). Wien 2005. S. 110-119.

Breuss, Susanne: Häusliche Zeitordnungen. Hausarbeit und Zeitdisziplinierung im 19. und 20. Jahrhundert. In: Chvojka, Erhard/Schwarcz, Andreas/Thien, Klaus (Hg.): Zeit und Geschichte. Kulturgeschichtliche Perspektiven (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 36). München/Wien 2002. S. 211-226.

Breuss, Susanne: Die Zeit der Hausfrau. In: Gruber, Sabine/Löffler, Klara/Thien, Klaus (Hg.): Bewegte Zeiten. Arbeit und Freizeit nach der Moderne. München/Wien 2002. S. 53-72.

Breuss, Susanne: „Fortschritt an allen Enden, überall Bequemlichkeit?“ Zur Technisierung und Rationalisierung der Hausarbeit im 19. und 20. Jahrhundert. In: Eigner, Peter/Helige, Andrea (Hg.): Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Wien/München 1999. S. 51-53, 119-120, 157-165, 189, 207-211, 219, 250-251, 259-260.




Samstag, 10. Mai 2014

FOTOSACHE NR. 32: An der Tankstelle



Aufnahme um 1960 (Ausschnitt), Archiv Susanne Breuss



Heute in meiner Fotoglosse im Extra der Wiener Zeitung: eine Aufnahme von einer Tankstelle um 1960 und eine kleine Geschichte der Benzinversorgung.


Freitag, 9. Mai 2014

DRUCKSACHE NR. 32: Rentierzungen, Knäckebrot und Sherry Cobbler: Erlebnis-Gastronomie auf der Wiener Weltausstellung von 1873


© Wien Museum


Morgen im Extra der Wiener Zeitung: ein Beitrag von mir über die (binnen-) exotische Erlebnisgastronomie auf der Wiener Weltausstellung von 1873. Die internationale Massenveranstaltung stand zwar ganz im Zeichen von Wissenschaft, Bildung und Fortschritt, doch für Unterhaltung und Spektakel war - wie schon bei den vorangegangenen Weltausstellungen in London und Paris - ebenfalls gesorgt. Und dabei spielten Essen und Trinken eine wesentliche Rolle, vor allem für die als Phäaken verschrienen Wiener/innen, wie in Medienberichten gerne behauptet wurde. So fragwürdig "authentisch" die einzelnen Lokale mit ihren folkloristischen Inszenierungen auch gewesen sein mögen: Sie erlaubten dem Ausstellungspublikum auf eine umfassende Weise, quasi mit Magen und Gaumen die Welt zu erkunden und zahlreiche, bis dahin in Wien unbekannte Speisen und Getränke zu verkosten. Im Wigwam, den die obige Abbildung zeigt, konnte man verschiedene American Mixed Drinks ausprobieren, so zum Beispiel das neue internationale Modegetränk Sherry Cobbler (eine Mischung aus Sherry, Früchten und viel Eis) - serviert wurde es mit damals noch unüblichen Strohröhrchen und von heftig angestaunten afrikanischen Kellnern.  

Nachtrag: Den Artikel gibt es unter dem Titel "Weltreise mit dem Gaumen" auf Wiener Zeitung online.



Mittwoch, 7. Mai 2014

TERMINSACHE NR. 64: Im Rausch der Dinge. Moderne Konsumkultur zur Zeit der Wiener Weltausstellung


Produktpräsentation der Wiener Weinhandlung Bauer auf der Weltausstellung 


Im Rahmenprogramm der Ausstellung "Experiment Metropole. 1873: Wien und die Weltausstellung" gibt es unter anderem einen Vortrag von mir zu folgendem Thema:
"Im Rausch der Dinge. Moderne Konsumkultur zur Zeit der Wiener Weltausstellung"
Zeit: Dienstag, 20. Mai 2014, 18:15 Uhr
Ort: Wien Museum Karlsplatz
(unmittelbar davor spricht der deutsche Historiker Volker Barth zum Thema: "Knotenpunkte im Weltnetz - Wien und die globale Kommunikation um 1870", Beginn: 17:30 Uhr)

Das im 19. Jahrhundert neu entwickelte Format Weltausstellung stand ganz im Zeichen von Fortschrittsoptimismus und dem Streben nach wirtschaftlicher und kultureller Weiterentwicklung. In Wien, wo 1873 die bis dahin größte derartige Veranstaltung stattfand, trafen diese Intentionen auf eine Stadt in einer intensiven Umbruchs-, Modernisierungs- und Urbanisierungsphase. Dabei zeigten sich in der Ausstellung wie in der Stadt neue Formen der Konsumkultur, hier wie dort spielte die Inszenierung von Dingen als Waren eine zentrale Rolle. Buchstäblich als "Sehenswürdigkeit" galt nicht nur die Ausstellung selbst, auch die ersten Warenhäuser und die eleganten Geschäftsstraßen, in denen sich bereits ein Schaufenster an das andere reihte, präsentierten sich als solche.
Der Vortrag beschäftigt sich mit den konkreten Schauplätzen und Phänomenen moderner Konsumkultur und geht der Frage nach, wie sich diese auf dem Ausstellungsgelände, im Wiener Stadtbild und im Alltagsleben manifestierten.  


Montag, 5. Mai 2014

SCHREIBSACHE NR. 4: Teilen - Praktiken der Kollektivnutzung


Call for Articles: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 2015

Teilen – Praktiken der Kollektivnutzung zwischen Subsistenz, Subversion und Solidarität 

In den letzten Jahren haben – parallel zu den krisenhaften Wirtschaftsentwicklungen in den westlichen Gesellschaften – Initiativen und Diskurse zu alternativen und gemeinschaftlich organisierten Ökonomien zugenommen. Unter dem Schlagwort „nutzen statt besitzen“ werden in vielfältigen gesellschaftlichen Bereichen neue und auch bewährte Formen des Konsums und des Wirtschaftens praktiziert, die versuchen, an die Stelle der Maximen des Wachstums und des Besitzens Ideen der kollektiven Nutzung, des Teilens und Weitergebens zu setzen. Das Spektrum der hier beobachtbaren Praxisformen ist denkbar breit und reicht von subsistenzwirtschaftlichen Ökonomien über kritisch-politisch orientierte Kommunikations- und Aktionsformen bis hin zu neuen Geschäftsmodellen, die ihrerseits wieder nach Profitabilität und ökonomischem Erfolg streben. 

Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin und Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom hatte vor über 20 Jahren postuliert, dass für eine nachhaltige Bewirtschaftung lokaler Allmenderessourcen (= Commons) organisierte lokale Kooperationen sowohl einer staatlichen Kontrolle als auch Privatisierungen strukturell überlegen sei. Die internationale kritisch geführte Diskussion zu globaler Verantwortung, Grenzen des Wachstums und nachhaltigen Strukturen der Ressourcennutzung operiert seither prominent mit dem Begriff der Commons. Es handelt sich dabei um materielle und immaterielle Güter sowie Strukturen, die ein auf die Zukunft hin orientiertes System bilden, das die Ressourcennutzungen künftiger Generationen mitbedenkt und damit für eine am Gemeinwohl orientierte Ethik ökonomischer Prozesse steht. Gleichzeitig werden in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften unter dem Topos „Tragik der Allmende“ auch die  Begrenzungen und Aporien derartiger Praxisformen diskutiert.

Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive erscheint es gewinnbringend, diese politisch und ökonomisch motivierte Diskussion an alltagsweltliches Handeln rückzubinden. Im Fach wurde vielfach auf Anknüpfungspunkte der Commons-Diskussion in der historischen Volkskunde verwiesen, die gemeinrechtliche Ressourcennutzungen der Allmende untersucht hat, wie sie in traditionalen Gesellschaften und Lebenszusammenhängen verankert waren, oder des Gemeinwerks, das sowohl die Sache als auch den Umgang mit ihr bedeutet. Commons sind heute, wo von einem ‘peak soil’ gesprochen wird, auch ein Thema der Kritik an postkolonialer Privatisierung, in Indien wie anderswo. Sie werden, wie es die beschreibende Volkskunde seit hundertfünfzig Jahren tut, zunehmend auf den Alltag und das Auskommen der Bevölkerung bezogen.

Die Österreichische Zeitschrift für Volkskunde (peer reviewed Journal) möchte das Doppelheft 3/4 im Jahr 2015 diesem thematischen Schwerpunkt widmen und lädt daher interessierte AutorInnen zu Beitragsvorschlägen ein. Der call richtet sich an KulturwissenschaftlerInnen und fragt nach theoretisch angeleiteten empirischen Erkenntnissen zu dem skizzierten Themenbereich.

Welche kulturwissenschaftlichen Gegenwartsbezüge lassen sich mit der Diskussion um die Commons herstellen? Auf der Ebene der Alltagspraktiken sind Tauschbörsen, Umsonstläden und Dumpster diving nur einige Beispiele solidarischer (kommunalistischer) Wirtschaftsformen, die zumeist von einer karitativen und an Nachhaltigkeit orientierten Sozialethik getragen werden. Auch so unterschiedliche Äußerungsformen wie freiwillige Sozialarbeit und digitaler Gemeinnutzen zeugen von kultureller und sozialer Verantwortung und einer Orientierung am Gemeinwohl mit dem Ziel, „Souveränität über die eigenen Lebensverhältnisse“ und  „Gestaltungschancen für die Zukunft“ (Dieter Kramer) zu gewinnen. Zugleich finden sich auch Praxisformen wie Gemeinschaftsgärten oder kollektive Wohnprojekte, die subsistenzwirtschaftliche Interessen mit einem gemeinschaftsbildenden, wenn nicht gar politischen Anliegen verbinden. Schließlich finden sich auch professionelle Initiativen und Geschäftsmodelle wie Car-Sharing oder Time-Sharing (Tourismus), die zwar ganz einer Profitlogik unterliegen, in der gegenwärtigen Situation aber durchaus auch an den kulturell vermittelten Wunsch der Alternative anschlussfähig sind und daher vom Gesamttrend nicht völlig abgekoppelt gedacht werden können.

Die genannten Phänomene könnten in der geplanten Schwerpunktausgabe Berücksichtigung finden. Den HerausgeberInnen geht es um eine Fokussierung alltagsweltlicher, gendergerechter akteurszentrierter und ethnografisch differenziert ausgearbeiteter Perspektiven, die sowohl historisch wie gegenwartsbezogen angelegt sein können und thematisch im oben skizzierten Sinne offen sind. Wissenschaftsgeschichtliche und historische Arbeiten sind daher ebenso willkommen wie Kulturanalysen von Gegenwartserscheinungen. 

Es wird um Abstracts im Umfang von bis zu 500 Wörtern und einige Kurzinformationen zur einreichenden Person gebeten.

Zeitplan:

Einsendeschluss Abstracts: 30. Juni 2014
Benachrichtigung über Annahme/Ablehnung des Beitrags: Anfang August 2014
Einreichung Manuskripttext durch AutorInnen:  31. Januar 2015
Februar – September 2015: ÖZV-spezifischer peer review- und Redaktionsprozess
Erscheinen der Zeitschrift im Dezember 2015

Kontakt:
Birgit Johler, birgit.johler@volkskundemuseum.at
Österreichische Zeitschrift für Volkskunde
c/o Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien
http://www.volkskundemuseum.at



Donnerstag, 1. Mai 2014

FOTOSACHE NR. 31: Der 1. Mai in der Straßenbahnremise


©  Archiv Susanne Breuss


„Tobt der Pöbel in den Gassen, ei mein Kind, so lass ihn schrei’n. Denn sein Lieben und sein Hassen ist verächtlich und gemein“. So reimte Hugo von Hofmannsthal zum ersten Maifeiertag im Jahr 1890. 1889 hatte der Gründungskongress der Zweiten Internationale in Paris beschlossen, den 1. Mai 1890 zum weltweiten Aktionstag für den Achtstundentag zu erklären. Für die Maikundgebungen waren außerdem die Forderung nach Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts sowie die Sicherung des Friedens zentral. 

Der 1. Mai wurde nicht nur als Festtag, sondern vor allem als Kampftag verstanden – der „Rebellensonntag“ versetzte den politischen Gegner in Schrecken. Die Bedeutung des 1. Mai liegt einerseits in dieser Dichotomie als Kampf- und Festtag, andererseits darin, dass es sich um einen genuin proletarischen Feiertag handelt, der nie in kirchlich-religiöse Bezüge eingebunden war.
Für die österreichische Sozialdemokratie spielte der 1. Mai von Anfang an eine sehr wichtige Rolle. Bereits die erste Maifeier im Jahr 1890 war ein derartiger Erfolg, dass man mit ihr die Geburt der SDAP als Massenbewegung verband. Friedrich Engels schrieb damals in der „Arbeiter-Zeitung“, dass sich Freund und Feind darüber einig wären, dass auf dem europäischen Festland Österreich, und dort speziell Wien, den Festtag des Proletariats am glänzendsten begangen hätten. 

Zum rechtlich fixierten arbeitsfreien Staatsfeiertag wurde der 1. Mai in Österreich erst 1919. Bis dahin war die Arbeitsruhe keineswegs selbstverständlich, sondern musste erkämpft werden. Besondere Bedeutung erlangte der Maifeiertag im „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit. Damals entwickelte er sich zu einem zentralen Bestandteil sozialdemokratischer Repräsentation, wurde zum sozialdemokratischen Feiertag schlechthin, auf dessen Gestaltung und Ästhetisierung man großen Wert legte. 
Die abgebildete Fotografie stammt aus den 1920er Jahren. Sie zeigt eine Wiener Straßenbahnremise mit festlich geschmückten Straßenbahnwagen und mit Girlanden umkränzten Parolen wie „Nur Menschlichkeit ist unser Will, durch Kampf erreichen wir das Ziel“. Seit 1919 war es Tradition, dass am 1. Mai auch die Straßenbahnräder bis Mittag still standen und dann der erste Zug jeder Linie im Feiertagsschmuck aus der Remise fuhr.
Die Aufnahme dürfte als Erinnerungsfoto für die Bediensteten der Verkehrsbetriebe entstanden sein. Sie fand sich in einem üblichen Familienalbum. Die Integration des 1. Mais in den Kanon wichtiger Ereignisse verdeutlicht die gelungene Etablierung des Maifeiertages als öffentlich wie privat begangenen Festtag.


Dieser Text erschien erstmals als:
Susanne Breuss: Schmuck am sozialdemokratischen Feiertag (= Fotoglosse "schwarz & weiß"). In: Wiener Zeitung Extra, 29. April 2006, S. 2.